Moorhütte

Die jung Verheiratete versuchte die dunklen Gedanken zu vertreiben, die der schreckliche Tod mit sich gebracht hatte. Ihr war nicht bange vor der Verstorbenen, das Unheil und die Not für die hinterbliebene Familie waren aber nur schwer zu vergessen. Line wusste aus Bremen, das praktisches Handeln gegen Niedergeschlagenheit half. Darum begann sie sich in der Hütte einzurichten.

Zuerst einmal öffnete sie die Tür ganz weit, um frische Luft und Helligkeit hereinzulassen. Die ersten Lichtstrahlen flirrten im Dunst. Jeder einzelne Sonnenstrahl fand seinen Weg zwischen dem Herdrauch hindurch und beleuchtete den unebenen Hüttenboden. Line erschrak. Frau Eltermann hatte recht: das war der direkte Moorboden! Kein verstrichener, getrockneter Lehmboden, keine Holzbretter, die reine Erde, nur ein wenig mit dem Spaten glatt gestrichen. Sie seufzte tief: Jetzt war Sommer. Wie würde der Boden in der feuchten Jahreszeit und im Winter sein?

Ein Strahlenbündel erhellte das Bett gegenüber der Tür an der graden Rückwand der Hütte. Links vom Bett in der Dachschräge stand ein niedriges flaches Regal. Dort hatte Früllerk beide Weidenkörbe abgestellt. Lines Aussteuer, ihre Kleidung, Hausrat, der gesamter Besitz waren darin gut verstaut. Sie bemerkte Früllerks Absicht: selbst wenn der Hüttenboden im Winter feucht werden würde, die Körbe waren hoch im Trockenen. Ihr wurde wieder ganz warm vor Liebe. Sie wusste: jede Erleichterung, die möglich war, würde Früllerk ihr bauen. Etwas zuversichtlicher schaute sie weiter um sich. In dem flachen Korb unter dem Regal war Kleidung: eine Hose, drei Hemden und einige Paar Socken. Dazu etwas Unterwäsche und ein Rasiermesser.

Auf dem einfachen Tisch, rechts in der Schräge, an das Bettgestell gelehnt, standen die Reste des Frühstücks und des Hochzeitsmahls. Zwei dreibeinige Hocker daneben. Das Feuer war ein Rund aus Feldsteinen, in der Mitte eingetieft für die Glut. Etwas Torf glimmte noch. Ein geschmiedeter Dreifuß und eine Bratpfanne, ein abgedeckter irdener Grapen standen unter dem Tisch. Line zog den Topf vor und nahm den Deckel ab. Der Grapen war voller Spinnweben, Früllerk hatte ihn wohl noch nicht oft benutzt! Der Deckel entpuppte sich als irdener Teller. Er war schon sehr angeschlagen. Ein Spannungsriss lief durch die wellenförmige Bemalung. Das war wohl ein Pfannkuchen-Teller.

Vom Holzfass neben dem Tisch hob sie den Deckel an. Es war eine noch ansehnliche Menge verschrumpelter Äpfel darin. Beide, Früllerk wie Line, aßen gern Äpfel. Und der Medicus in Bremen hatte gemeint: Äpfel essen macht blanke und weiße saubere Zähne. Dadurch bleiben sie gesund. Das hat schon vor vielen Jahren ein berühmter Arzt erkannt.

Vorn rechts unter der Dachschräge lag ein dicker Baumstamm. Line besah ihn genauer. Ein Schnitt teilte ihn längs in Boden und Deckel. Line hob das Oberteil an und schaute darunter. Es war ein ausgehöhlter Stamm und noch zur Hälfte gefüllt mit Buchweizenkörnern. Line verstand den Sinn des Vorratsbehälters: Mäuse und Feuchtigkeit blieben draußen!

Darüber hatte Früllerk, wie in der gegenüberliegenden Schräge, ein weiteres Regal angebracht. Darauf lagen Holzteller, unterschiedlich große Löffel, mehrere ineinander passende Schüsseln, ein Brett aus Holz und ein Messer mit einer Eisenklinge.

Line entnahm einem ihrer Weidenkörbe den Henkeltopf mit Salz, Frau Eltermanns Hochzeitsgabe. Randvoll war er noch und durch ein Wachspapier vor Nässe geschützt. Line kontrollierte das geknotete Band um den Rand. Es saß noch gut fest. Der Topf weckte wehmütig die Erinnerung an ihre Bremer Küche. Immer schon hatte sie gerade diesen Topf gemocht. Er war alt und schon ein wenig abgestoßen, das grün aufgetragene Blumen-Motiv am Rand abgeplatzt und nur noch schwer zu erkennen. Dass Frau Eltermann ihr gerade diesen Topf geschenkt hatte … Line wurden die Augen nass. Entschlossen zwinkerte sie die Tränen fort. Sie hatte sich für Früllerk und damit für das Moor entschieden. Und damit gut!

Energisch setzte sie ihren Erkundungsgang in der Hütte fort. Von den Balken der Dachschräge hingen ein Zwiebelbündel, Bohnenstroh mit getrockneten Bohnen und ein weißer genähter Sack herunter. Er war durch und durch mit Fett getränkt und verrußt. Der grüne Speck darin war alt und sicher lange nicht angeschnitten worden. Weitere Lebensmittel fand Line nicht in der Hütte. Sie wusste ja, dass Früllerk meistens von Louise verpflegt worden war.

Vorn links war ein Teil der Hütte wie mit einem Zaun abgetrennt. Dort lag heller Torfmull hoch aufgeschüttet, einige dunkle Torfstücke und ein längs halbiertes, wie ein Trog ausgehöhltes Baumstück daneben. Zur Dachschräge hin eine Stange mit einem Brett darunter. Line wunderte sich: Das wirkte, wie ein Tierkoben, aber in der Hütte, fast neben dem Bett? Sie fand jedoch keine Erklärung dafür. Früllerk hatte hier auch sein Zimmermanns-Werzeug, dazu hölzerne Spaten, Schaufel, eine Sense und eine riesige Harke abgestellt.

Mit der Bettstelle an der hinteren graden Giebelwand war die Besichtigung ihres neuen Heimes dann schon abgeschlossen. Das Bett bestand aus einem flachen Holzkasten, erhöht durch vier Beine. Die Strohunterlage war frisch, das hatte sie gestern Abend gerochen. Ein Unterbett war mit einem blaugrau karierten Stoff bezogen. Die Bettdecke hatte sie Früllerk zu Weihnachten mitgegeben. Sie hatte sie in Bremen genäht und mit guten Entendaunen gefüllt. Jetzt im Sommer ist es zu warm, aber im Winter wird es uns gut schützen, überlegte Line, während sie das Unterbett glatt strich und Strohhalme einsammelte. Früllerk hatte sie gestern Abend mit einem Halm gekitzelt, angenehme Gefühle kamen wieder in ihr auf: sie hatte ihren Früllerk sehr lieb!

Alles schaffen wir beide, wenn wir nur zusammen sind! das kam ihr wieder in den Sinn. Entschlossen ordnete sie Kissen und Oberdecke. So, das Bett war gemacht! Aber – wohin mit dem Nachtopf-Inhalt?

Line ging mit dem Tontopf in der Hand um die Hütte nach hinten. Sie war froh, dass er im Weidenkorb beim Transport heil geblieben war. Denn Früllerk war ohne Nachttopf ausgekommen. Er hatte von einer Stelle nahe beim Haus gesprochen. Direkt neben dem Gemüseland fand sie den stark riechenden kleinen Haufen, der vor Fliegen nur so wimmelte. Line kippte den in der Nacht angesammelten Inhalt dazu. Die Fliegen flogen als summende Wolke auf, beruhigten sich jedoch schnell wieder und krabbelten eifrig summend auf dem frischen Kot herum.

Suchend sah Line sich um. Am Graben, der der Hütte am nächsten war, kniete sie sich hin, um den Topf auszuspülen. Sie hielt jedoch inne: Das Wasser des Grabens brauchen wir sicher als Trink- und Kochwasser. Wenn dort aber Reste des Nachttopf-Inhalts herumschwimmen? Appetitlich ist das dann ja nicht!

In Bremen hatte sie Wert auf klares, sauberes Wasser gelegt. Der Brotteig wurde mit gutem Wasser deutlich lockerer und auch das Bier schmeckte besser. Und vor Festlichkeiten musste ihr der Knecht das Wasser aus dem Wilhadibrunnen in der Nähe des Doms holen. Dieses Wasser wurde in ganz Bremen als das Beste gerühmt. Sicher gibt es hier auf der Moorstelle besseres Wasser. Oder es wurde aus der Beek geschöpft. Das würde sich finden.

 

[Home]